Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch
Godelier ist ein Schüler des marxistischen Philosophen Louis Althusser und gilt zusammen mit den Ethnologen Claude Meillassoux und Emmanuel Terray als Begründer der so genannten neomarxistischen Schule der französischen Ethnologie.
Die theoretische Position Godeliers
Godelier gilt als Vertreter des Neostrukturalismus. Seine Weiterführung des Strukturalismus schlägt eine Brücke zum Neomarxismus, weshalb er als Begründer der neomarxistischen Wirtschaftsethnologie gilt.
Neostrukturalismus
Sein theoretischer Ansatz führt den Strukturalismus weiter, indem er ihn mit dem historischen Materialismus bzw. dem dialektischen Ansatz von Marx verbindet, um „der verborgenen Logik des ökonomischen Systems und der Notwendigkeit ihres geschichtlichen Werdens und Vergehens auf den Grund zu gehen“[1] und so den Widerspruch zwischen historischer Dynamik und gesellschaftlich auf Dauer angelegten Strukturen aufzuheben.
Neomarxismus
Godeliers neomarxistische Wirtschaftsethnologie wird auch als „Neue Wirtschaftsethnologie“ bezeichnet. Diese Richtung kam in den sechziger und siebziger Jahren in Frankreich auf und löste die „Alte Wirtschaftsethnologie“ ab, die ihren Höhepunkt in der Substantivismus-Formalismus-Debatte[2] erreicht hatte.[3] In seinem Werk „Rationalité et irrationalité en économie“ von 1966 eröffnet Godelier eine theoretische Perspektive, die von einer Einbettung der wirtschaftlichen Aktivitäten in den sozialen Strukturen (wie die Religion und die Politik) einer Gesellschaft ausgeht[4]. Godelier sieht in diesen sozialen Strukturen die Basis für die Produktion und Reproduktion der Wirtschaft.
Feldforschungen
Maurice Godelier begann seine Feldforschung 1967 bei den Baruya, einer klassenlosen Gesellschaft von ca. 2000 Menschen, die im Hochland Papua-Neuguineas leben. Die Feldforschung bei den Baruya nahm zwischen 1966 und 1988 insgesamt sieben Jahre seiner Zeit in Anspruch. Er fokussierte sich auf Probleme, die eher allgemeiner theoretischer Natur sind (die Macht und die Rolle der Imagination in der sozialen Reproduktion). Genauer untersuchte er dort das Verhältnis zwischen Ökonomie und Sozialstruktur, mit der Entstehung politischer Macht und der Bedeutung von ideellen Konstrukten [5]. 1982 entstand aus seinen zusammengefassten Materialien sein erstes Werk „La Production des Grands Hommes“ (big men, great men Konzept), welches zentral für die Analyse von Machtverhältnissen in Melanesien wurde. Themen, die Godelier während seinen Feldforschungen beschäftigten:
- die Rolle des Ideellen (mentales Konstrukt) in sozialen Beziehungen
- die Unterscheidung zwischen der Imagination und der Symbolik (symbolische Praxis)
- die Unterscheidung zwischen Gabe, Geschenk und unveräußerlichen Dingen (Reziprozität)
Aus seinen Feldforschungen sind zahlreiche Publikationen und Filme entstanden
Werke
Godelier behandelt in seinen Werken zum einen den Umgang der australischen Kolonialherrschaft mit verschiedenen Ethnien sowie den daraus resultierenden sozialen Wandel in Ozeanien. Er beschäftigt sich außerdem mit dem Aufbau von Gesellschaften, die von Verwandtschaftsstrukturen abhängig sind, und zeigt die Bedeutung sexueller Figuren und die ungleiche Verteilung der Geschlechterrollen in ihnen auf. Dadurch versucht er die männliche Dominanz in der Herrschaft zu erklären. Godeliers Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Hauptwerk
Godeliers Hauptwerk „La production des Grands Hommes“ wurde 1982 publiziert. Die zentrale Fragestellung ergibt sich schon aus dem Titel, nämlich wie die „Grands Hommes“ entstanden sind, wodurch sie sich auszeichnen und wie sich als solche in der Gesellschaft etabliert haben.[8] Das Buch schildert das Ergebnis seiner Feldforschungen ab 1966 bei den Baruya, eine Ethnie des Hochgebirges von Papua-Neuguinea. Die Baruya lebten bis zur Unterwerfung der Kolonialverwaltung Australiens im Jahre 1960 sowohl staaten- als auch klassenlos. Godelier versucht in seinem Werk die soziale Organisation der Baruya zu analysieren, welche stark von der männlichen Herrschaft und somit von einer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geprägt ist. „Ein Teil der Gesellschaft, die Männer, lenkte den anderen, die Frauen; sie regierten die Gesellschaft zwar nicht ohne die Frauen, aber gegen sie. Damit kommt der Fall der Baruya, einer klassenlosen Gesellschaft, zu all denen hinzu, die bereits deutlich davon zeugen, daß die Ungleichheit unter den Geschlechtern, die Unterordnung, Unterdrückung, ja Ausbeutung der Frauen gesellschaftliche Realitäten sind, die nicht erst mit dem Auftauchen der Klassen entstanden, sondern schon vorher existierten, auch wenn sich die Herrschaft der Männer mit den tausend Formen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die den unseren vorausgingen, auf tausenderlei Arten gefestigt und erneuert hat." Das Buch erhielt einen Preis der Académie française und hat dauerhaften Einfluss in der Anthropologie.
Das Rätsel der Gabe: Geld, Geschenke, heilige Objekte
Verlag: C.H.Beck; Auflage: 1
Klappentext des Verlages
Was unterscheidet den Verkauf vom Austausch von Gaben? Warum muß man eine Gabe annehmen, und warum muß man danach etwas zurückgeben? Scheinbar einfache Fragen. Aber wer sie beantwortet, ermöglicht einen Blick auf das, was eine Gesellschaft konstituiert. Wer zeigen kann, welche Funktion die Gabe für eine Gesellschaft hat, gewinnt – das haben Ethnologen wie Marcel Mauss und Claude Levi-Strauss eindrucksvoll gezeigt – tiefe Einblicke in ihre Struktur.
Maurice Godelier entwirft in diesem Buch eine neue, umfassende Theorie der Gabe, deren Erklärungskraft auch für moderne Gesellschaften gültig ist. Dabei geht er nicht aus von den Dingen, die man verkauft oder die man gibt, sondern von denen, die man behält: vor allem von den heiligen Objekten. Indem er die Praktiken des Potlatch und des Kula, auf die Mauss sich gestützt hatte, neu analysiert, zeigt er, daß die Rätsel, mit denen Mauss konfrontiert war, sich auflösen lassen: Es ist durchaus möglich, Dinge zu geben und sie zugleich zu behalten. Gegeben wird das Nutzungsrecht, bewahrt wird das Eigentum. Freilich muß dann noch erklärt werden, warum man heilige Objekte nicht weggeben kann, und auch das tut Godelier auf eine luzide Weise. Am Ende bietet er nicht nur eine Erklärung des Phänomens der Gabe, sondern eine Gesellschaftstheorie. Jede Gesellschaft hat zwei Arten von Objekten: Die einen sind dem Austausch, dem Geben, dem Markt entzogen und bilden so den Fixpunkt, der erst ermöglicht, daß die anderen zirkulieren. Ohne ein solches Zentrum kann eine Gesellschaft nicht „funktionieren”. Aber sind die modernen Gesellschaften nicht gerade davon bedroht, daß sich der Markt aller Dinge bemächtigt? – Welche Funktionen die Gaben (und das nicht Weggebbare) in einer Gesellschaft haben, ist mithin eine Frage, die nicht nur den Ethnologen angeht, sie ist von großer Bedeutung für das intakte Fortbestehen unserer modernen Gesellschaft