Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch
Zitat Balandier
"Eine Ethnologie, welche die gegenwärtige Situation ihrer Untersuchungsgegenstände ignoriert, pfeift auf die Welt, in der sie existiert."
Stadtethnologie und Ethnizitätsstudien
Balandier ist gegen die Betonung der Struktur im Strukturalismus Leví Strauss' sowie der bloßen Behandlung von Symbolen und Ritualen. Er untersucht Kulturen in ihrer Gegenwart.
- er veröffentlicht die ersten soziologisch-anthropologischen Studien überhaupt, die sich mit dem städtischen Leben im frankophonen Afrika beschäftigten
- Feststellung, dass sogenannte "primitive" Gesellschaften durchaus Träger eines politischen Elements sind
- wegweisende Studien zur Ethnizität deutet "Ethnizität als Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und staatliche Unterdrückung"
Nach der Beschäftigung mit Balandier, stellt sich die Fage: Ist die Politische Anthropologie ein Teilbereich der Ethnologie? Im Vorwort der ersten deutschen Ausgabe, von Balandieres Politischer Anthropologie schreibt Kurt Sontheimer:
Politische Anthropologie, ein neuer Zweig der Sozialanthropologie, ist ein wichtiger Teilbereich der Ethnologie und der Sozialwissenschaften. Professor Balandier, einer ihrer maßgeblichen Vertreter, gibt in diesem Buch einen knappen und präzisen Abriss des Gegenstands und der Methode dieser Disziplin.
Sein Buch erfüllt eine doppelte Aufgabe. Als kurze Darstellung der Ziele und Ergebnisse dieser Wissenschaft und als kritischer Beitrag zur Methodendiskussion u. a. in der Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus. Fragen der Macht stehen im Vordergrund; sie werden untersucht in ihrem Bezug zu den Strukturen von Stammesgesellschaften, ihren sozialen Schichtungen und ihren religiösen Kulten. Zwischen politischer Theorie und Staatstheorie wird unterschieden, wo es um das Wesen des Staates geht. Die Abweichung zwischen Gesellschaftstheorie und gesellschaftlicher Wirklichkeit wird dabei herausgestellt.Quelle: Vorwort von Kurt Sontheimer, S. 7-9, in: George Balandier: Politische Anthropologie, dtv September 1976,
Konstruktion der politischen Anthropologie
Die politische Anthropologie wirkt zugleich wie ein sehr altes, aber stets aktuelles Projekt und wie eine spät entwickelte Spezialisierung der anthropologischen Forschung. Als Projekt zielt sie, über die Einzelerfahrung und die besonderen politischen Doktrinen hinaus, auf die Begründung einer Wissenschaft des Politischen, die den Menschen als homo politicus auffasst und die Merkmale untersucht, die allen in ihrer historischen und geographischen Vielfalt anerkannten politischen Organisationen gemeinsam sind. In dieser Bedeutung ist sie bereits in der >Politik< des Aristoteles vorhanden, der den Menschen als ein von Natur politisches Wesen betrachtet und eher darauf ausgeht, Gesetze zu entdecken, als die beste erdenkliche Verfassung eines möglichen Staates zu bestimmen. Als Spezialgebiet grenzt die politische Anthropologie einen Untersuchungsbereich innerhalb der Sozialanthropologie oder der Ethnologie ab. Sie widmet sich der Beschreibung und Analyse der politischen Systeme (Strukturen, Prozesse, Repräsentationen) von Gesellschaften, die als primitiv oder archaisch betrachtet werden. In diesem Sinne hat sie sich als Fachdisziplin erst jüngst herausgebildet.
Quelle: Balandier, George: Politische Anthropologie, München 1972
R. Lowie und andere
der das Ungenügen der anthropologischen Arbeiten auf politischem Gebiet beklagt, hat gleichwohl zu ihrer Entwicklung beigetragen. Es ist bezeichnend, dass das 1952 in den Vereinigten Staaten abgehaltene »International Symposium on Anthropology« sie kaum beachtete. Dieser Mangel zeigt sich bei den Anthropologen auch in den letzten Jahren noch immer: Die meisten von ihnen geben zu, dass sie »die vergleichende Untersuchung der politischen Organisation der primitiven Gesellschaften vernachlässigt haben« (I. Schapera). Daher die Missverständnisse, Irrtümer und fehlerhaften Behauptungen, die einer großen Zahl von Gesellschaften politisches Denken und politische Spezialisierung abgesprochen haben.
Seit etwa fünfzehn Jahren kehrt die Tendenz sich um. Die Feldstudien nehmen zu - besonders in Schwarzafrika, wo über hundert »Fälle« beobachtet und einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich gemacht wurden. Langsam kommen die Ergebnisse dieser neuen Untersuchungen in den theoretischen Ausarbeitungen zum Tragen. Neben der inneren Entwicklung der anthropologischen Wissenschaft ist für diesen plötzlichen
Aufschwung die Tatsache verantwortlich, dass die Berücksichtigung der sich nach der Entkolonisierung wandelnden Gesellschaften an der Zeit war. Die Politologen erkennen nunmehr die Notwendigkeit einer politischen Anthropologie an. G. Almond erklärt sie zur Voraussetzung einer jeglichen vergleichenden politischen Wissenschaft. R. Aron stellt fest, dass die sogenannten unterentwickelten Gesellschaften »imstande sind, die Politologen zu faszinieren, die dem abendländischen oder industriellen Provinzialismus entrinnen möchten«. Und C. N. Parkinson »beginnt zu glauben, dass die Untersuchung der politischen Theorien den Sozialanthropologen übertragen werden sollte«.
Dieser späte Erfolg bleibt nicht unangefochten. Für einige Philosophen - insbesondere für P. Ricceur - hat allein die politische Philosophie eine Berechtigung, da das Politische grundsätzlich in allen Gesellschaften gleich ist und weil die Politik eine auf die Verfassung der Gemeinschaft gerichtete »Zielvorstellung« (Telos) ist. Damit werden die Wissenschaften vom Politischen total verworfen; das lässt sich wiederum nur durch eine vertiefte Erforschung des politischen Phänomens zurückweisen. Für ein solches Unternehmen sind die seit langem bestehenden Zweifel hinsichtlich des Untersuchungsbereichs, der Methoden und Ziele dieser Wissenschaften keine günstige Voraussetzung. Gleichwohl muss versucht werden, diese Zweifel auszuräumen.