Elman Service - Ursprünge des Staates

Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch

Fragestellung: Wo und wie fand der Übergang vom Häuplingtum zum Staat statt?

Als Kriterium bei der Entwicklung zum Staat kann die Produktion eines Nahrungsmittel-Surplus angesehen werden. Daraus ergeben sich die Schichten der unterlegenen Nahrungsmittelproduzenten und der überlegenen nicht Nahrungsmittel-Produzenten. Dies entspricht dem Häuptlingstum, oder wie Steward und Faron sagen, dem lokalen Staat.

Die klassische Definition des Häuplingtums lautet:

Das Häuplingstum hat zwei Funktionen. Eine besteht in der Koordinierung für Aktivitäten, wie Bewässerungskanäle und den Bedürfnissen des Volkes zu dienen. Die andere ist ausbeuterisch, in dem Sinne, dass es Güter und Dienstleistungen für den Unterhalt der speziellen nicht produzierenden Volksklassen, wie Krieger und Priester beansprucht.

Sobald aber die Technologie keinen Fortschritt mehr macht und neue Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, überschreitet das Häuplingstum seine Grenzen, um sich den Wohlstand bei anderen Gesellschaften zu besorgen. Der Zweck der Staatenbildung ist demnach nackte ökonomische Ausbeutung. Die Zentralisierung der Kontrolle führte zu Bevölkerungskonzentrationen, aus denen Städte wurden.

Die Phase des Staates, in seiner Blüte, in Peru kann um 400-500 n.Chr. angesiedelt werden. Als Kriterien gelten:

Künstliche Bewässerungssysteme waren voll ausgebaut, die grundlegenden Technologiene waren etabliert, der Militarismus war voll ausgeprägt und die Bevölkerungszahl näherte sich seinem Maximum.

Drei Ebenen der Staatengründung

Die Volkgemeinschaft ist die Basisebene, sie tragen die Primärfunktionen weiter: Erzeugen von Güter für den eigenen Verbrauch, Das Kindergebären und -aufziehen, das tägliche Leben im Kontext des lokalen und religiösen Lebens.

Das aus vielen lokalen Gemeinschaften bestehende Häuplingstum stellt die zweite Ebene dar. Es werden neue Formen des religiösen Lebens entwickelt, sowie neue politische und ökonomische Organisationen, ebenso der Militarismus.

Der Staat als Zusammenschluss von Häuplingstümern konstituiert die dritte Ebene. Er ist eine den zwei andere aufgestülpte zusätzliche Kulturschicht.

Was aber ist nun das entscheidende Kriterium des Staates, repressive Gewalt als Ausfluss der Klassenschichtung, oder Urbanismus?

In Peru gab es sowohl Urbanismus, als Redistributionszentren, als auch Klassenschichtung. Sie setzte sich zusammen aus Aristokratie, einer Mittelschicht aus Handwerkern und einer unteren aus Bauern und Arbeitern. Ersetzt man Schichten durch Klassen und betrachtet den Militarismus nicht nur als Eroberungssubjekt, sondern die darauf basierende Gewalt zur Unterdrückung der Nichtbesitzenden Klasse als Polizeigewalt, so hat man ein exaktes Staatsmodell, wie es von Marx/Engels beschrieben wurde. Die Aufgabe des Staates ist es demnach die besitzende vor der nichtbesitzenden Klasse zu schützen. Schlussfolgerungen von E. Service

Negative Schlussfolgerungen über den Ursprung von Staat und Zivilisation. Angeführt werden folgende Argumente, die belegen sollen, dass es zwischen ihnen und Staatengründungen einen direkten Zusammenhang gibt.

Vielfach wurde der Staat als Instrument zum Aufbau einer sozialen Ordnung verstanden und mit der Gesellschaft selbst gleichgesetzt.

Es sind Handlungen menschlicher Gruppen, sozialer Klassen, Wirtschaftssysteme, primitive Stämme, die zum Staat führen, nicht einzelner, die zusammenkommen um politische Herrschaft zu schaffen.

Nicht ganz unrichtig sind die Behauptungen von Ibn Khaldun, der in der Rolle des Klimas und der Böden eine Konkurrenz zwischen nomadischen und sesshaften Gesellschaften sah. (materialistische Theorie)

Konflikt und Konkurrenz können positive Funktionen bei der Organisation des Staates habe.(Ferguson; ökonomische Theorie)

Der Staat entstand als eine Struktur der Zwangsgewalt zum Schutz der Reichen, vor den zahlenmäßig überlegenen Armen - d.h. der Staat ist das Produkt des Klassenkampfes.(Marx, daraus hervorgegangen; Klassenkonfliktheorie.)

Krieg und Eroberung

Die Eroberungstheorien gehen davon aus, dass politische Herrschaft bereits existiert. Nicht der Krieg ist die Ursache von Schichtungen, sondern die Schichtungen haben viellmehr den Krieg provoziert, und den militärischen Status erhöht. Krieg im eigentlichen Sinn hat in segmentalen Gesellschaften nicht existiert, es handelte sich um ein Gleichgewicht von Gewalt, und nicht wie im Krieg darum, das Ziel, den Frieden, mit einem verschobenen Kräftegleichgewicht zu beenden.

These: Wenn Autorität und Gewohnheit versagt haben, kommt es zu Krieg. Der Krieg selbts hat keine Staaten geschaffen. Das 'Regieren' Tschaka Zulus, mit Terror und Gratifikationen, entsprach einer persönlichen Marotte nicht aber einem Staat.

Bewässerung und Intensivierung der Produktion

Es gibt keine Belge dafür, dass hydraulische Systeme großen Stils mit politisch-despotischen Systemen großen Stils zusammenfallen.

Wachstum und Entwicklung

Konflikt- und Eroberungstheorien sehen den Übergang vom Häuptlingstum zum Staat in der Rivalität von Kriegern und Priestern (Cherokee) oder im temporären Krieg.

Bei den Cherokee entglitt die außenpolitische Macht, die immer kompletiver wurde, den Priestern, da das Kriegführen vordergründig wurde.

Klassenschichtung und Repression

Das System der Warenproduktion tritt an die Stelle der Gebrauchswertproduktion. Es entstehen Vermögensunterschiede. Der repressive Staat entsteht. In frühen archaischen Kulturen oder in primitiven Staaten läßt sich nachweisen, dass Gütertausch nach Maßgabe von Reziprozität und Redistribution nicht von Unternehmern betrieben wurden.

Ursprünge der Ungleichheit

1. Ursprünge der Ungleichheit

Primitiven Gesellschaften, in denen es weder permanente Klassen noch familiale Machthierarchien gibt werden auch segmental oder egalitär genannt. Einzelne Individuen sind jedoch aus der Masse hervorgehoben.

Dieser höhere Status bringt aber keine Privilegien oder größeren Reichtum. Die Masse folgt diesen jedoch und akzeptiert sie als Kriegshäuptlinge oder als Magier. In dieser Tendenz liegt aber eine Machtabstufung mit dauerhafter Hierarchie. Durch Geschick kann ein solches Individuum auch in Friedenszeiten zum mediatisierenden und administrativen Führer aufsteigen. 

Durch sein Geschick bei der Redistribution werden aus einem reziproken Tauschprozess redistributive Tauschprozesse. Daraus entwickelt sich eine Rechenschaftspflicht gegenüber seinen Gefolgsleuten. Der Führer wird sozusagen von seinen Leuten 'gemacht', wegen seiner Fähigkeiten. Aus dieser Position erwächst ihm aber kein ökonomischer Vorteil.

2. Primogenitur und echte Häuptlingstümer

Die Institutionalisierung der Macht wird durch die Primogenitur, in matrilinearen Häuptlingstümer vom Vater auf den Sohn,  in (selten) matrilinearen Häuptlingstümer auf den ältesten Sohn der Schwester, zu einer Form vererbbarer Autorität und zu einer Form institutionalisierter Ungleichheit. Durch das Wachstum der Gesellschaft, wächst auch die Familie des Häuptlings, bis die herrschende Gruppe, durch Heirat und inneres Wachstum zu einer Art Aristokratie wird. Sie plant nun Kriege und den Außenhandel und manipuliert die Gesellschaft durch den geschickten Umgang mit den übernatürlichen Kräften. (In Häuptlingstümer ist der Häuptling zumeist Gott oder oberster Priester.)

3. Macht und Recht

Selbstschutz  gegen Hochverrat

Strafe durch übernatürliche Mächte, da in Häuptlingstümer ist der Häuptling zumeist Gott oder oberster Priester ist, leicht zu bewerkstelligen.

Vermittlung zwischen verschiedenen Kin-Gruppen

Der Selbstschutz gegen Hochverrat kann als erste negative Sanktion formuliert werden. --> Öffentliches Recht

Die Schlichtung zwischen Kin-Gruppen birgt Gefahren in sich, da sich eine Partei meist benachteiligt fühlt.

Häuptlingstümer sind Theokratien und ein wichtiger Aspekt der Bürokratie ist ihre Funktion als Priesterschaft. Da sie die Übernatürlichen Mächte kontrollieren, glaubt man ihnen auch, dass sie die Menschen kontrollieren können.

Hat die Redistribution und wurden die Kriege gewonnen, die säkularen Pflichten der Bürokratie waren also erledigt, schuf die Religion - die Tempel zur Ausübung mussten in Fronarbeit errichtet werden - die negative Konditionierung des Beherrschenden und Beherrschten.

4. Umwelt- und Gratifikationen

Neben Imperialismus und Sklaverei entsteht ein Zusammenhalt durch natürliche Grenzen und rivalisierende Nachbar auf gleicher Kulturhöhe, wie in Peru. Im anderen Fall werden sesshafte Gesellschaften durch Nomaden bedroht, sodass es günstig ist zu einem Kollektiv zu gehören (Nordchinesische Stadtstaaten).

5. Urbane Zentren

entwickelten sich durch die weit auseinanderliegenden Ressourcen, die gewonnen, transportiert und verarbeitet werden mussten.

5. Gewalt

Durch Gewalt ließen sich primitive Staaten auf Dauer nicht regieren, bzw. halten. Neue politische Herrschaftssysteme entstanden durch Reduktion der Gewalt, "... sodass eine gute Regierung wieder das Ansehen einer friedlichen Theokratie gewinnt."

Zivilisation

6. Zivilisation

Der evolutionäre Weg zur Zivilisation führt nach Service von der Big-man-Gesellschaft über das Häuptlingstum. Zivilisation hängt seiner Meinung nach nicht von den Attributen, Gewalt, Schrift oder schöne Künste ab, sondern von der Bürokratie, die sich durch eine langandauernde Machtinstitution, aus dem Big-man-System heraus, gebildet hat. Die Bürokratie selbst legt sich Merkmale zu, die als Attribute archaischer Zivilisation gelten: Steuern, Schrift, Metallverarbeitung, Zeremonialreligion etc..

6.1. Der Aufstieg einer Zivilisation

lag darin, dass von der äußeren Umwelt gestellte Probleme durch die Zivilisation selbst gelöst wurden - d.h. durch ihre Bürokratie.

7. Bürokratie

Unter Bürokratie versteht Service u.a.: Ein Herrschaftssystem, dass in der Lage ist das soziale System zu erhalten, und es gegen äußere und innere Bedrohungen schützen kann.

8. Der Untergang der Zivilisation

wird bewirkt durch eine Schwäche der klassischen Herrschaftsformen, die in Relation stand zu der neu gewonnen Stärke einer anderen - d.h. der Niedergang liegt in ihrer Umweltsphäre, nicht wie beim Aufstieg der Kultur in ihr selbst.

8. Ägypten

Meer auf der einen Seite und Wüste auf der anderen Seite, haben wie eine Art Zwangsjacke gewirkt, die neue Völkerbewegungen verhinderten, wodurch - bedingt durch eine fast 1000-jährige Friedensperiode - die Kultur traditionalisiert wurde. Schließlich brach das System von innen her zusammen, was auf das Fehlen benachbarter rivalisierender Gesellschaften zurückzuführen ist.