Wirtschaftsethnologie und Politische Anthropologie - Staatenbildung und die Ökonomie von Kula und Potlatch

Marshall Sahlins

Geboren am 27. Dezember 1930 in Chicago. Der US-amerikanische Kulturanthropologe Marshall Sahlins setzte sich in seinem Werk „Kultur und praktische Vernunft“ (1976) mit Theorien zu Wirtschaft und Gesellschaft auseinander.

Laut Sahlins ist die Struktur nicht durch die Produktionsverhältnisse vorgegeben. Im Gegenteil: die Struktur ordne die Wirtschaftsverhältnisse. So sind diese beispielsweise den sozialen Beziehungen der Verwandtschaft unterworfen. Er konstatiert, Marx‘ Konzept von Basis und Überbau sei keinesfalls allgemeingültig, sondern kulturspezifisch. Praktisch sei nur das, was als praktisch symbolisch codiert ist. Die Ordnung der Kultur durch die materiellen Werte setzt voraus, dass die materiellen Werte bereits durch die Kultur geordnet sind.

Die Geschichte wird gesellschaftlich gedeutet und in den Code einverleibt, wobei die Geschichte wiederum einen Einfluss auf die Deutung hat. Die Gesellschaft sieht Sahlins als Organismus, der Neues nur im alten Horizont erkennen kann.

Generalisierte Reziprozität

Sahlins arbeitete drei Arten der Reziprozität heraus: Die generalisierte Reziprozität beschreibt die reine Gabe, den altruistischen Transfer, der ohne Verpflichtung und ohne Erwartung einer Gegengabe vollzogen wird. Das Soziale steht hier über dem Materiellen, die Beziehung dominiert das Ökonomische. Diese generalisierte Reziprozität kann laut Sahlins auch in abgeschwächter Form vorhanden sein. Die Gabe wird hier irgendwann erwidert und bis dahin, steht der Nehmer in der Schuld des Gebers. Es entsteht eine gegenseitige Verpflichtung, die wir beispielsweise in freundschaftlichen Beziehungen erkennen können. Ein asymmetrischer Gabenfluss ist bei dieser abgeschwächten generalisierten Reziprozität kaum möglich. Der Begriff der noblesse meint eine Art des Gebens, bei der die symbolische Erwiderung nicht nötig, aber meist, wenn auch zeitverzögert vorhanden ist. Die Gegengabe ist je nach kulturellem Kontext unterschiedlich.

Balancierte Reziprozität

Die balancierte Reziprozität ist eine äquivalente Reziprozität und man trifft sie beispielsweise bei Heiraten oder Friedensverhandlungen an. Soziales und Materielles sind ausgeglichen, das Soziale fordert Gaben und wird durch sie aufrechterhalten. Soziale Beziehungen und Gütertransfers sind aneinander gekoppelt. Dieses System der Gaben untersuchte Marcel Mauss in seinem Werk „Die Gabe“.

Quelle: http://userwikis.fu-berlin.de/display/sozkultanthro/Sahlins,+Marshall


Negative Reziprozität

Die negative Reziprozität beschreibt die Aneignung ohne etwas geben zu müssen. Sie ist nicht verpflichtend, unpersönlich, unmoralisch und die unsozialste Form der Reziprozität, da es nur um das Eigeninteresse geht. Das Materielle steht hier über dem Sozialen. Beispiele sind Diebstähle und Deals. Die Teilnehmer sind Opponenten. Reziprozität an sich ist keine Bedingung, aber manchmal möglich, beispielsweise wenn sich zwei Händler zu unterschiedlichen Zeiten gegenseitig runterhandeln.

Verzögerten Reziprozität

Das System der verzögerten Reziprozität ist spezifisch für die ǃKung (anderer Name: Juǀ'hoansi) und für die Naro sprechenden San. Ein ähnliches System existiert bei den Enga von Papua-Neuguinea.

Hxaro

Hxaro bezeichnet das gegenseitige Tauschsystem der ǃKung-San der Kalahari, in welchem durch Geschenke, Geschichtenerzählen und regelmäßige Besuche ein Netz von sozialen Beziehungen zu teils mehrere hundert Kilometer entfernten Tauschpartnern aufrechterhalten wird. Diese Beziehungen dauern lange Zeit an und werden zum Teil von Eltern an ihre Kinder weitergegeben. Das System wurde eingehend von der Anthropologin Pauline Wiessner untersucht. Sie sieht die Hauptaufgabe des Systems darin, die ǃKung in Zeiten des Nahrungsmangels abzusichern, zum Beispiel im Fall von Trockenperioden oder Fluten, und vergleicht es mit dem Versicherungswesen.

Charakteristische Eigenschaften sind die symmetrische verzögerte Gegenseitigkeit (Reziprozität), die Bedeutung der aufgebauten Beziehung zwischen Einzelpersonen (im Gegensatz zum praktischen Nutzen der Geschenke und Gruppenbeziehungen), sowie die Tatsache, dass das Geschlecht der Tauschpartner keine große Rolle spielt.

Im Detail waren die Personen im Durchschnitt mit 16 Tauschpartnern verbunden und verbrachten etwa ein Viertel des Jahres mit dem Erstellen oder Beschaffen von Geschenken und gegenseitigen Besuchen, der für Hxaro betriebene Aufwand wird als hoch eingeschätzt. Während der Besuche werden die Besucher vom Gastgeber zunächst vollständig, nach einigen Tagen zumindest teilweise unterhalten, so dass ein Besuch auch für den Gastgeber einen hohen Aufwand darstellt.

Quelle: Pauline Wiessner - http://de.wikipedia.org/wiki/Hxaro

Tauschsystem der ǃKung

Die amerikanischen Anthropologin Pauline Wiessner verwendet den Begriff: "Verzögerte Reziprozität" für das Tauschsystem der ǃKung-San. Völlig neu ist der Begriff aber nicht, denn M. Mauss hat im seinem "Sur Le Don"  den Begriff der Schenkökonomie eingeführt, der das Gleiche bedeuten soll, wie der Begriff verzögerte Reziprozität.

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Der Begriff Schenkökonomie (auch „Kultur des Schenkens“) bezeichnet eine soziologische Theorie, die dem Strukturfunktionalismus zugeordnet wird. Die Schenkökonomie ist demzufolge ein soziales System, in dem Güter und Dienstleistungen ohne direkt erkennbare Gegenleistung weitergegeben werden, tatsächlich allerdings meist mit verzögerter Reziprozität. Sie unterscheidet sich somit vom Tauschhandel und gründet sich häufig auf dem Prinzip allgemeiner Solidarität. Ursprünglich wurde der Begriff für ein vorherrschendes Phänomen in urgeschichtlichen und Stammesgesellschaften verwendet, in denen soziale oder immaterielle Gegenleistungen wie Karma, Ansehen oder Loyalität und andere Formen von Dank erwartet wurden. Anthropologen und anderen Wissenschaftlern ist es gelungen, den wechselseitigen Gabentausch auch in gegenwärtigen Kulturen nachzuweisen.

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